ReiseJournal

Bergtour Tien-Schan,Kasachische Naturwunder:
Tscharyn-Canyon und Tambalytas-Felsen

Vom 11. September bis 3. Oktober 1993


Gunter Schreier und Gunther Knauthe

Bergführer Marat und seine Frau Valja


Mein Reisejorunal ist eigentlich eine private Gedächtnisstütze und natürlich nur begrenzt druckreif. Ich habe mir nicht die Mühe gemacht, alles auf Vollständigkeit, Verständlichkeit und Konsistenz durchzusehen und zu überarbeiten. Auch fehlen Karten und Bilder. Gleichwohl ist der Trip eine überwältigende Tour und ich kann ihn nur jedem Bergfreund wärmstens empfehlen.

Wer also noch was darüber wissen will schreibt mir eine mail.

Aber nun mein Journal:


11. September
Von Berlin, früh morgens mit der ersten Maschine, nach Moskau-Scheremetjewo, und weiter nach Domodetewo. Hier haben wir einen halben Tag Aufenthalt. Und von abends 23.00 Uhr über Nacht fliegen wir nach Alma-Ata. Wegen des dreieinhalbstündigen Fluges und der Zeitverschiebung von drei Stunden erreichen wir Alma-Ata am frühen Morgen...

12. September
Marat kommt nach unserer Ankunft zum Flughafen. Wir sind zwar mit einer Inlandsmaschine geflogen; trotzdem apart durch die Intourist/Globus-Abteilung abgefertigt worden. Auch unser Gepäck wurde separat in Containern transportiert. Im Lada-Niva von Marat fahren wir durch Alma-Ata in den Vorort nahe Kamenka. Duschen, schlafen, essen, gammeln (17.00 Uhr), packen, bettgehen.

13. September
Um 11.00 Uhr nach dem warmen, von Valja bereiteten Frühstück beladen wir einen alten Moskwitsch von Marats Freund. Marat hat diesen am Morgen noch organisiert. Mit dem alten Moskwitsch fahren wir nach Medeo. Wir tanken unterwegs und werden wegen der Cholera-Epedemie kontrolliert. Wir zahlen Wegezoll auf der Straße nach Medeo. Der Linienbus hätte uns wegen des vielen Gepäcks nicht mitgenommen. Links unterhalb des Eissportstadions steigen wir über einen Feldweg ein. Es geht über zwei hohe Pässe und wir schlafen bei einer Quelle (ca. 2600 m) vor dem Abstieg ins Linke-Talgar-Tal. Für den Anfang und den späten Aufbruch war die Tour verhältnismäßig hart.Wir essen vom Lagerfeuer Valjas Abendgericht und drei anwesende Russen laden uns noch zu Kuchen und Wodka ein. Marat ist ungehalten über die drei "Touristen". Gunter kotzt des Nachts ins Zelt. Dramatische Reinigungsaktion um 2.00 Uhr! Früh hat er Fieber - es ist der Magen. Marat verordnet russische Medizin von den drei Touristen.

14. September
Gegen 11.00 Uhr haben die Tabletten das Fieber gedrückt und wir entscheiden weiterzugehen. Wir steigen 2 Stunden ab ins Linke-Talgar-Tal. Nach rechts gehen wir dann das Tal entlang des Linken-Talgar (-Flusses) aufwärts (südwärts). Wir rasten ein kurzes Stück nach dem Abzweig rechts zum Tschimbulak-Paß. Sollte Gunters Zustand sich verschlechtern ist der Aufstieg über den Tschimbulak-Paß zur Tschimbulak-Alpinisten-Basis vorgesehen. Früh am Abend haben wir in dem Tal auf ca. 2600 m Schatten und wir gehen zeitig zu Bett.

15. September
Gunter hat sich auskuriert. Es war tatsächlich nur der Magen und die einhergehende Entkräftung. Um 9.30 Uhr verlassen wir den Schlafplatz und wandern gemächlich das Linke-Talgar-Tal weiter hinauf. Links lassen wir den Einstieg zum Talgar in einem Seitental liegen. Es ist ein unglaublich schönes Tal. Es ist auch über der Baumgrenze noch reichhaltig und freundlich-bunt bewachsen. Im Zentrum fließt ständig der Linke-Talgar. Insgesamt gibt es 3 Talgar-Flüsse. Gunters Geburtstag feiern wir zum 2. Frühstück mit Corny-Riegeln. Valja ist gegen 15.00 Uhr mal sauer und will nicht mehr. Wir aber drängeln Marat und der überzeugt schließlich Valja. Wir steigen noch weiter bis kurz unterhalb der Vegetationsgrenze, d.h. auf über 3200 m. Wir haben noch Zeit zum kochen und einrichten. Der Schlafplatz ist sehr schön und natürlich kalt. Alle Kleidungsstücke kommen zum Einsatz: Underwear, Baumwolle, Fleece, Gore-Tex. Marat werkelt am Juwel-Kocher und der explodiert schließlich. Das Überdruck-Ventil - eine ewige Krankheit der Juwel. Das Zelt brennt aber nicht ab. Marat schießt den Juwel durch die Landschaft - ein Feuerball! Wir finden aber nachdem wir ihn dann ausgepustet haben alle wichtigen Teile wieder. Und das Essen und den Tee können wir auch noch kochen. Der Juwel ist unverwüstlich. Valja kocht - meistens ja auf offenem Feuer - jeden Tag Essen und Tee. Früh gibt es oft Milchreis mit Trockenfrüchten und Rosinen und abends Suppe mit Fleischeinlage. Mittag essen wir kalt: Speckfett oder Speck, Fleisch, Käse, Trocken Brot. Knoblauch gibt's zu jeder Mahlzeit.

16. September
Um 10.00 Uhr brechen wir zum Paß auf. Es kommt noch ein hartes Stück Weg bis zum Paß. Bei einer Pause legen Marat und Gunter die Steigeisen an. Valja nimmt Marats Skistöcke und ich das Eispickel. Das letzte Stück steigen wir so über Schnee. Gegen Mittag erreichen wir den Turistow-Paß. Er ist 3910 m hoch und völlig schneebedeckt. Wir essen sporadisch. Valja baut das Zelt auf - unterdessen ziehen Wolken auf. Wir nehmen Gunters Deckelfach als Day-Pack mit zwei Flaschen Tee und Riegel. Marat trägt seinen Rucksack mit Seil und Steigeisen und wir steigen vom Paß aus den Grad nördlich, Richtung Tujuksu.
Unterhalb des Gipfels legen wir obligatorisch das Seil an und Marat zeigt uns, mit dem Eispickel umzugehen. Als wir den Gipfel erreichen hat sich das Wetter weiter eingetrübt und Marat dringt darauf, den Aufenthalt nicht unnötig auszudehnen. Er deutet auf die Wolken und die Gefahr, die von Gewittern und Blitzen ausgeht. Außerdem ist es saukalt und es weht. Der Gipfel ist über Fels und Gletscher zu erreichen, die aber einfach zu ersteigen sind. Der Tujuksu ist reichlich 4200 m hoch. Es bietet sich ein wundervoller Blick über das Talgar-Massiv, die nördliche Tien-Schan-Kette und die Ausläufer des Tien-Schan nach Norden. Während des Abstieges beginnt Schneeregen. Auf dem Paß beeilen wir uns und steigen dann über ein tristes Geröllfeld Richtung Tal. Die Schuhe werden im lehmigen Geröll extrem beansprucht. Marat sucht einen Weg. Oft sind halsbrecherische Aktionen an glatten Fels oberhalb des Flusses notwendig. Die Dämmerung kündigt sich an. Erst hatte es noch gehagelt. Jetzt, unterhalb von 3000 m regnet es. Die Gore-Tex bewährt sich. Wir essen einen Corny-Riegel im Laufen. Wir beschließen, trotz der einbrechenden Dunkelheit, weiter bis zu einerHütte zu laufen. 21.40 Uhr, schon lange ist es dunkel, kommen wir in der Hütte an. Die letzten 100 m haben wir, um über einen Fluß zu gelangen, die Taschenlampe benutzt. Die Hütte ist eine Meteorologische Station am Großen Alma-Ata-See. Hier wohnt Valerie. Wir essen. Meine Wäsche ist trocken. Der Rucksack akzeptabel. Die Jack-Wolfskin-Hose lasse ich am Körper - auch sie ist schnell trocken (ich hatte auf die Gore-Tex-Hose verzichtet). Erschöpft fallen wir spät wie Steine in die Betten. Im Tien-Schan kündigt sich, so Marat, schlechtes Wetter drei Tage vorher an. Erste Anzeichen sind kleine, ganz kleine Zirrus-Wolken. Dann, in zwei, drei Tagen regnet es. Und nach weiteren drei Tagen ist das Wetter in aller Regel wieder schön.

17. September
Um 10.00 Uhr sind wir aufgestanden. Marat ist unterdessen nach Alma-Ata gelaufen bzw. gefahren um für die nächste Woche Proviant zu holen. Zunächst schauen wir uns um - der Alma-Ata-See ist von beeindruckender Schönheit. Wir machen eine Tour um den See. Dabei überwinden wir ohne Schuhe und Hosen den reißenden Strom, der den See speist. Das Gestein ist ungewöhnlich rutschig. Das Wasser ist eiskalt. Der Große Alma-Ata-See ist 1911 bei dem großen Erdbeben entstanden und vor ca. 25 Jahren mit einer Staumauer gesichert worden. Gegenüber auf dem Hügel ist eine formals sowjetische Forschungsstation. Angeblich eine Art "Teilchenbeschleuniger". Valerie ist streng religiös. Wir reden viel mit Marat. Marat diskutiert mit Valerie. Morgen wollen wir 8.00 Uhr aufbrechen.

18. September
Gegen 10.00 Uhr brechen wir auf. Gerade sind Freunde von Valerie mit einem alten Moskwitsch angekommen - sagenhaft, dieser Wagen, diese Kasachen. Wir haben trockenes, dafür aber unfreundlich kaltes, bewölktes Wetter. Der Anstieg Richtung Kirgisien zum Paß Osernuj ist hart, Marat schleift uns. Am späten Mittag erreichen wir den Paß, der die Grenze zwischen Kasachstan und Kirgisien bildet. Wir steigen in ein canyonartiges Tal ab. Im Tal gehen wir aufwärts nach Osten.
Zwei Schäfer begleiten uns: Der Jüngere, ein Hühne - geradezu furchterregend! Marat danach: "Don't worry, he was without gun!" Weiter aufwärts müssen wir einen Talgar-Fluß queren. Dieselbe Prozedur wie am Vortag - nur diesmal mit Gepäck. Eine Heldentat! Wir marschieren am Rande unserer Kräfte weiter. In der Dämmerung erreichen wir den malerischen See Schasyl-kul hinter einer natürlichen Staumauer unter welcher ein Fluß aus dem See fließt. Am See ist ein Rastplatz. Marat räumt den Müll anderer Bergsteiger beiseite ("Full of shit."). Vieles verbrennt er. Wir essen im Dunkeln und gehen schlafen. Wieder eine extrem harte Etappe gemacht.

19. September
Um 11.30 Uhr starten wir zum Aufstieg auf den Ak-su-Paß (4100m). Wir gehen 6 Stunden. Der Weg führt uns über Geröll und den Ak-su-Gletscher. Es ist schönes Wetter; allerdings sehr kalt. Valja und Marat verabschieden sich kurz unterhalb des Passes. Der Paß war schwer zu ersteigen. Das erste Mal haben wir mit Gepäck diese Höhe erstiegen. Atemnot macht sich nicht bemerkbar. Aber bei der geringsten Anstrengung kommt man außer Atem und keucht und stöhnt und schwitzt.
Wir bleiben ungefähr eine 3/4 Stunde auf dem Paß. Ein beeindruckendes Wolkenspiel bietet sich uns und die Aussicht ist grandios. Unsere Stimmung ebenso. Gegen 18.30 Uhr steigen wir gen Nordosten ab. Wir gehen noch eine anderthalb Stunde bis zum ersten Fluß und haben da einen wirklich guten Zeltplatz. Kochen und ramschen - ein genußreicher Abend.

20. September
Der Morgen beginnt in schattiger Kälte mit Kaffee und Suppe. Dann Waschen, putzen, packen und Journalaufzeichnungen führen. Die Sonne ist inzwischen über dem Bergkamm und wir gammeln. Spät also brechen wir nach Südosten ins Ak-su-Tal auf. Wir wollen durch das ganze Tal wandern, immer entlang des Ak-su. Gegen späten Mittag haben wir noch nicht die Hälfte geschafft.
Viele Pferde sind frei im Ak-su-Tal. Einmal sehen wir am gegenüberliegenden Ufer einen Hirten. Am späten Nachmittag, tief im Tal wandern wir an drei Jurten bei einem See vorbei. Wir schlagen uns dann weiter durch bis wir gegen Abend den Fahrweg bei der Brückeüber den Ak-su erreichen. Jetzt geht es noch über einen Hügel. Wir wollen die Straße bis Semenowka laufen und rechen immer damit, den Issyk-kul zu sehen. Nachdem wir entlang des Fahrweges die Serpentinen auf den Hügel hochgestiegen sind, suchen wir nach einem Zeltplatz. Überall sind Schafe. Ein Bus kommt uns entgegen. Ab und an auch Kasachen in völlig überladenen Beiwagenmotorrädern. Wir campen auf einer Wiese und kochen das Wasser gut ab (überall Schafscheiße). Mit der Dunkelheit haben wir die notwendigsten Verrichtungen erledigt.

21. September
Nach dem Frühstück wandern wir die Straße weiter in Richtung Semenowka. Es kommt kein brauchbares Fahrzeug, welches wir anhalten könnten, damit wir nicht zu Fuß gehen müssen. Wir haben uns ziemlich verschätzt. Die Fahrstraße zieht sich ewig lang hin und die Sonne drückt. Wir brauchen den ganzen Vormittag, zweieinhalb Stunden Fußmarsch. Vom Issyk-kul ist überhaupt nichts zu sehen, auch nicht als wir schließlich in Semenowka ankommen. Semenowka ist ein größeres Dorf, wo es auch einen kleinen Laden gibt und der "Issyk-kul-Highway" (Marat) zieht sich inmitten durch's Dorf. Die zwei Läden an dieser Straße bilden mit ein paar Bäumen davor den Kern von diesem Nest. Es ist auch die Anlage für einen kleinen Marktplatz vorhanden. Jetzt ist es aber eher menschenleer. Nur ein paar Schulkinder sind zu treffen. Alles andere spielt sich in den einzelnen Häusern und den die Häuser umgebenden Höfen ab. Wir kaufen in einem Laden Saft und trinken. Die Schulkinder amüsieren sich und wir hängen durch. Der Fußmarsch und die Hitze haben uns zugesetzt.
Den besten Platz zum Rasten finden wir an der Straße im Buswartehäuschen. Wir wollen noch Melone kaufen, aber die Verkäuferin hat ihren Laden willkürlich geschlossen. Wir überlegen, ob wir weiter in Richtung Süden zum Issyk-kul gehen sollen oder gleich nach Sary-bulak fahren, wenn sich eine Gelegenheit ergibt. Die Entscheidung wird uns abgenommen - wir haben zwei Kirgisen von unserem Reiseziel erzählt und als der richtige Bus zur Haltestelle kommt, halten diese den an.
Ein neuer aber ungepflegter Ikarus-Reisebus. Wir bezahlen 10 $ für die Fahrt und es erscheint uns zuviel. Weitere Tauschgeschäfte des Reisebegleiters lehnen wir dann auch ab. Nach einer reichlichen Stunde Fahrt erreichen wir gg. 15.00 Uhr Sary-bulak. Der Dorfladen hier bietet viel weniger. Nach dem "Genuß" von altem Saft und trockenen Keksen ist mir speiübel. Wir suchen einen Zeltplatz am Strand des Issyk-kul. Hitze, Übelkeit, Dreck und Hunde machen uns zu schaffen. Nach einer anderthalben Stunde haben wir einen guten Platz gefunden.
Wir kochen Wasser aus dem See ab. Waschen und Baden bringt in dem Schlamm allerdings nichts. Wir schaffen psychisch und physisch erstmal Ordnung. 1 $ kostet 6 Som und 1 Som 200 neue Rubel, also 400 alte, kasachische Rubel. Wir haben keinen Überblick, was wir noch brauchen werden und es zieht uns trotz des guten Platzes zurück in die einsamen Berge. Das Massiv der nördlichen Tien-Schan-Kette liegt jenseits von Sary-bulak direkt vor uns. Wir haben eine gute Nacht.

22. September
Halb Zwölf verlassen wir den See in Richtung Sary-bulak. Im Dorfladen gibt es Melonen. Wir kaufen eine und auch noch Brot für die nächsten Tage. Unter den Verkäuferinnen sorgen wir für Aufsehen. Wir eisen uns aber dann los. Beim einwandern passieren wir noch einen Bauernhof, auf dem uns ein alter Kirgise vor Wölfen warnt und uns zu Waffen rät. Weiter oben haben wir Ruhe und wir essen die Melone auf einen Ritt.
Dann steigen wir endgültig wieder ein. Den Weg finden wir grundsätzlich leicht. Nur kurz vor dem ersten Paß versteigen wir uns und müssen durch Unterholz. Wir passieren den Kamm also oberhalb der eigentlichen Traverse. Es dämmert - noch eine Stunde bis zur Dunkelheit. An einer Wasserscheide zwischen den beiden Pässen machem wir Rast. Die Sonne ist längst hinter den Kämmen. Wir sind gewaschen und fühlen uns ausgezeichnet. Die kirgisische Zivilisation liegt hinter uns und es herrscht wieder Ordnung.

23. September
10.30 Uhr wandern wir los. Erstaunlich lange brauchen wir für den Aufstieg auf den zweiten Paß. Nach anderthalb Stunden Aufstieg kommen wir auf 3674 m an. Drei große Adler kreisen über uns. Es weht ein starker Wind. Der Issyk-kul und die Ausläufer des zentralen Tien-Schan sind am Horizont im Süden zu sehen. Wir blicken gen Westen über die nördliche Tien-Schan-Kette. Ein Hirte mit einer großen Kuhherde zieht aus dem Kulsai herauf. Mittag sind wir dann nach einem leichten Abstieg an einem kleinen See, den wir für den ersten Kulsai-See halten.
Das Wetter wird schlechter und der Himmel zieht zu, vom Paß ist bereits nichts mehr zu sehen. Beim Abstieg passieren wir noch einen weiteren kleinen See und erreichen dann den ersten großen Kulsai-See. Er läßt sich aber wegen der Wolken nicht überschauen und der Weg ist nicht deutlich erkennbar. Da wir uns im Irrtume über die Zahl der Seen befinden, suchen wir den Weg auf der falschen Seite des Sees. Um den See sind wir herum und der Regen beginnt. Wir entscheiden, das Zelt aufzubauen und das Wetter abzuwarten. Es ist 17.00 Uhr. Noch während wir das Zelt aufbauen, verwandelt sich der Regen in Schneeregen und später in Schnee. Gegen 20.00 Uhr betrachten wir die Bescherung noch mal von außerhalb. Es sieht angsteinflößend aus. Seit 18.00 Uhr essen und langweilen wir uns im Zelt. Saukälte. Der Schnee erdrückt das billige Zelt. Wir machen uns allerhand Gedanken. Unter anderem machen wir uns auch so gut es geht marschbereit. Hunde bellen in der Ferne. Ein Tier ist außen am Zelt. Es kollidiert mit einer Zeltleine, entfernt sich aber dann. Gunter weigert sich das Zelt zuöffnen und das Eispickel von draußen zu holen. Wir holen es dann später.
Der Schnee fällt seit 19.00 Uhr stärker und nasser und ein Gewitter tobt. Anhaltende Blitze machen es taghell. Gegen 22.00 Uhr hat das Gewitter den Höhepunkt erreicht. Es bricht aber dann plötzlich ab. Immerwieder klopfen wir Schnee vom Zelt und überprüfen die nassen Stellen. Bis gegen drei Uhr harren wir so der Dinge und schlafen dann aber erschöpft ein. Gegen 8.00 Uhr sind wir erst wieder wach.

24. September
Es liegen ca. 20 cm Schnee. Der Himmel ist blau mit ein paar weißen Wolken und ansonsten scheint Sonne. Aus dem Tal zieht Frühnebel herauf. Wir breiten uns aus und kochen Kaffee. Wir haben ein ausgiebiges Frühstück im Schnee und fühlen uns göttlich. Drei Schmuggler kommen auf Pferden das Tal herauf. Sie haben Büchsen dabei und wollen nach Kirgisien über den Paß. Wir reden kurz. Die sindüber uns ähnlich verblüfft wie wir über sie. Ein Gaul stürzt weil er Streß kriegt im Schnee auf dem glatten Gestein und die drei müssen sich erst wieder sammeln.
Wir warten noch bis die Sonne das Zelt etwas abtrocknet. Es sieht mitgenommen aus und an den Ecken sind Ösen aus Plaste ausgebrochen. Wir haben die Ruhe - erst spät machen wir uns an den Abstieg zum zweiten Kulsai-See. Trotz des Schnees finden wir den richtigen Weg, der uns rechts am Hang ins Tal hinabführt. Alles andere würde in den versumpften Wald und damit in die Irre führen. Es ist eine märchenhafte Landschaft. Der herbstliche, verschneite Wald leuchtet in allen Farben. Zwischendurch ziehen Wolken. Der Himmel ist blau und ab und an haben wir eine Aussicht auf den unter uns liegenden grünen See. Am Ufer ist schroffer und steiler Fels.
Der zweite Kulsai-See ist der schönste - er liegt direkt drin. Auf der Wiese davor machen wir Rast. Schnee liegt hier nur wenig. Zwei irre Landsleute kommen mit einer Kuh aus dem Tal. Wir sind zum Wodka eingeladen. Gunter ist betrunken. Wir haben eine gute Jause. Nach der Mittagszeit verlassen wir den See, der Schnee ist jetzt ganz weggetaut.
Nach einem langen Abstieg kommen wir vorbei an vielen Anglern zum letzten, dritten Kulsai-See. Jeder der Angler fängt mit uns ein Gespräch an und lädt uns zum Fisch ein. Wir schlagen aber, so gut es freundlich geht, jede Einladung aus. Der letzte, tiefste Kulsai-See ist der größte und am Talende des Sees gibt es Häuser. Hinter uns, in den Bergen, sieht es wolkig und dunkel aus. Noch ein Stück gehen wir eine Fahrstraße entlang. Verhältnismäßig oft kommen Autos vorbei und etwa 10 km vor Saty bauen wir abseits der Straße am Fluß unser Zelt auf.

25. September
Wir stehen erst spät auf. Dann gehen wir Richtung Saty. Mit Heu überladene LKW überholen uns. Nach dem Mittag erreichen wir Saty. Im Dorfladen gibt es gar nichts. Auf Nachfrage verstehen wir nur, daß das nächste Telephon 40 km entfernt ist und das hiesige kaputt. Im Laden hält sich Olga auf und kommandiert uns auf den russischen Pritschenwagen von ihrem Mann Jakob. Wir sind zu Kaffee und Tee auf die Seismologische Station in Saty eingeladen. Jakob ist Deutsch-Russe und in die Station versetzt. Er hat vom deutschen Konsulat eine Nummer und will nach Deutschland. Für Olga müssen wir seine Deutsch-Kenntnisse bewerten. Jakob redet nicht viel. Wir werden bemuttert. Honigbrote, Butter - alles selbstgemacht. Abends gehen wir angeln. Wir fangen nichts. Jakob bringt aus dem Bergbach mehrere Forellen. Olga hat ihren seismologischen Meßbericht nach Alma-Ata gefunkt und bei dieser Gelegenheit von Alma-Ata bei Marat anrufen lassen. Er will morgen 11.00 Uhr hier sein. Wir schlafen in bezogenen Gästebetten.

26. September
Zum Frühstück gibt es die gefangene Forelle. Besonders gut ist aber frischer Rahm mit Löffelkuchen (in Öl gebacken). Wir warten auf Marat und beschäftigen die Hunde Pia und Tusie. Olga verschenkt eine kleine Katze.
Im Dorf wohnen die Kasachen. Die Faulen haben 10 Kinder, der Mann arbeitet nicht und die Frau erwirtschaftet Brot und Kohl. Olga zeigt uns den Hof und ihre seismologische Station. Wir sind permanent übersättigt. Marats Ankunft verschiebt sich - es gibt kein Benzin. 18.30 Uhr kommen Marat und Valja an. Sie haben in Saty Jakob getroffen. Auch er hatte kein Benzin mehr.
Wir essen zu Abend. Jetzt kochen Olga und Valja. Marat ist vom Hof begeistert: "sehr ordentlich und sauber". Für kasachische Verhältnisse. Wir bleiben lange wach. Marat hat englisches Büchsenbier mitgebracht. In Moskau gibt es unterdessen zwei Präsidenten und eine Staatskrise.

27. September
Für uns wurde ein Huhn geschlachtet. Das also zum Frühstück. Nach 11.00 Uhr verlassen wir Olga und Jakob. Zu viert im Lada-Niva. Dazu Gepäck und ein Faß Wasser. Nach dem Mittag kommen wir zum Tscharyn-Canyon. Wir wandern nachmittags und abends im Canyon herum. Es gibt Vipern. Im Windschatten des Lada bauen wir dann das Zelt auf. Valja kocht. Es stürmt.

28. September
In der Kälte machen wir Frühstück. Der Sturm hat aufgehört. Der Himmel ist bewölkt. Wir fahren dann im Regen nach Norden. Es hat keinen Sinn, die singenden Dünen zu besichtigen. Bei Regen singen sie nicht. Wir fahren Richtung Alma-Ata. Unterwegs gehen am Lada die Bremsen kaputt. Marat tauscht die für diese Zwecke vorgesehene und immer im Handschuhfach mitgeführte Flasche Wodka gegen die Ersatzteile ein.
15.30 Uhr sind wir in Alma-Ata und können mit uns nichts anfangen. Wir essen. In kaltem Regen machen wir einen Spaziergang. Alma-Ata erinnert an Slums. Mit Marat trinken wir an dem Abend 3 Flaschen Wein und gehen dann 1.00 Uhr in die Schlafsäcke.

29. September
Marat fährt uns 9.00 Uhr nach Alma-Ata. Wir gehen in die Sauna. Die Sauna ist nicht älter als 50 Jahre aber in einem imperialen Stil gebaut. Es gibt finnische und russische (Wasser aufgießen) Saunen. Jedenfalls war der Sauna-Besuch äußerst belebend. Danach sehen wir uns das Zentrum an (Ehrendenkmal und Kathedrale) und besuchen das Musikinstrumentenmuseum und das Museum für kasachische Geschichte. Im Museum für Musikinstrumente sind v.a. Dombras ausgestellt, das kasachische Nationalinstrument. Über die Rückgabe der Kathedrale an die russisch-orthodoxe Kirche wird verhandelt. Erhalten die Christen eine solche Kirche dann wollen die Moslems auch eine große Moschee.
Spät am Mittag fahren wir zu Valja zum Mittagessen und dann zurück nach Alma-Ata. Ohne Marat fitzen wir uns durch zu den Gegenden, die wir vor 5 Jahren schon gesehen haben. Es ist schlechter geworden. Nepp und Müll. Im ersten Hotel am Ort "Kasachstan" trinken wir Kaffee und essen billige Importschokolade. Alles ist ziemlich enttäuschend und verkommen. Gedankenlosigkeit. In unserem alten Interhotel sieht es noch ganz gut aus: Bar und Casino. 22.00 macht Valja uns essen und wir gehen ins Bett. Alma-Ata ist das Gegenteil von einem Reiseziel.

30. September
11.00 Uhr fahren wir mit Marat und seiner Familie nach Kaptschagai. Mit dem Schlauchboot fahren wir ca. 15 km den Ili abwärts. Von der Fernverkehrsstraße zum Ili fährt Marat einen Schleichweg magadan. Nachdem wir zu Wasser gegangen sind fährt Marat mit dem Niva vor und wartet bei den Tambalytas auf uns. Es gibt eine Wasserschlange. Wir benötigen etwa 2 Stunden für den Weg. Tambalytas ist kasachisch und bedeutet in etwa Fels mit Zeichen. Vorzeitliche Malereien sind in den Fels gehauen. Aus verschiedenen Perioden sind aus verschiedenen buddhistischen Religionen die Götter Buddha und Schiwa dargestellt. Schiwa hat 4 Arme. Diese Religionen "Sak" herrschten (vor 5000 Jahren) bevor der Islam in Kasachstan Einzug gehalten hat und noch später Tschingis-Khan eingefallen ist. Da die Tambalytas Kletterfelsen sind und zahlreiche Kletterer da trainieren gibt es nicht nur historische Felsmalereien, sondern auch "neuzeitliche" "Jokes" (Marat). Viele der Tambalytas sind durch Erdbeben zerstört. So sind nur noch einzelne Segmente von einem (wahrscheinlich) ehemals zusammenhängenden Gemälde zu sehen. Mit dem Sonnenuntergang fahren wir zurück nach Alma-Ata...

31. September
Am nächsten Morgen stehen wir früh auf. Am 31. September 1993, 10.00 Uhr fliegen wir nach Moskau. Da ist "Revolution". Wir werden von den Globus-Mitarbeitern direkt in die privat vermittelte Unterkunft gefahren.
Bei Soja Karich gibt es eine Menge Katzen, einen Hund und einen Neffen. Wir sehen uns in den folgenden zwei Tagen planlos Moskau an. Auf dem Außenring versuchen ein paar Kommunisten mit brennenden Barrikaden die Revolution. Noch vor dem Rückflug sehen wir uns das Weiße Haus an. In dem hat sich die Jelzin-Opposition verbarrikadiert. Am Montag nach unserer Rückkehr läßt Jelzin kurzen Prozeß machen mit Rutzkoj, Chasbulatov und den Spießgesellen.
Es gibt einen schönen großen Bilder-Markt am Kulturzentrum. Auf dem Arbat ist viel los, aber auch ein reichlich unangenehmes Klima. Es mangelt an Cafés und Restaurants. Mafiosi an allen Ecken und Enden.
Und allerorts russische Omis, die schwarz Waren anbieten: Wodka, Wurst, Eier, Kosmetika, etc. In unzähligen Kiosken werden billige westliche Konsumartikel angeboten. Unkultur. Der Straßenverkehr ist bemerkenswert. Chaotische Zustände - Sieger ist, wer die meisten PS, das robusteste Fahrzeug oder das meiste Prestige hat.

3. Oktober
Am Sonntag, den 3. Oktober 1993 fliegen wir nachmittags nach Berlin zurück.



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Gunther Knauthe 8. Februar 1996